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10. März 2022

Im Haus des Meeres

Sie sehen aus als wären sie nicht von dieser Welt, denke ich mir, und presse meine Hand gegen eine Glasscheibe. Hinter dieser Scheibe schweben fluoreszierende Wesen vorbei, mit einer Eleganz und Anmut, die mich an Tänzerinnen und Tänzer erinnert. Mal machen sie sich groß, mal klein, mal schweben sie nach rechts, mal nach links, einer inneren Choreografie folgend.

Es sind Kanonenkugelquallen, lese ich von einer Tafel ab, die über dem Wasserbecken im Haus des Meeres in Wien hängt.

Das Haus des Meeres – Ein Museum im Flakturm

Im Haus des Meeres war ich zuletzt vor über 20 Jahren. Damals präsentierte sich das Gebäude schmutzig grau. Ganz oben prangte eine Inschrift auf der Fassade: Smashed to pieces in the still oft the night. Die Buchstaben sind verschwunden, der ehemals dunkle Turm sieht heute ziemlich modern aus. Ganz oben lädt eine Dachterrasse zu einem Rundumblick über Wien ein.

Die dunkle Vergangenheit des Flakturms hat Platz gefunden in zwei winzigen Ausstellungsräumen, in denen Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg bestaunt werden können. Man kann sich allerdings auch ekeln, besonders an diesem Tag, den 24. Februar 2022.

Es ist Krieg!

In der Früh hatte ich noch eine Nachricht ins Handy getippt. Ich wollte mich versichern, dass sich die Person, die meine Worte las, in Sicherheit befand. Eine absurde Situation. Ausgerechnet ich verlangte nach einem Lebenszeichen von einem Menschen in der Ukraine, dessen Welt sich gerade in Auflösung befand. Der vielleicht schon auf gepackten Koffern saß, in sein Auto steigen würde und alles zurücklassen müsste, was seine Welt kostbar machte.

Die Welt im Haus des Meeres war in Ordnung. Alle waren an ihrem angestammten Platz. Die Wasserschildkröte Puppi zog unbeeindruckt ihre Runden im Aquarium, das Chamäleon blinzelte mir zu, der Octopus versteckte sich. Die Kinder lärmten und brüllten durchs Haus, die Erwachsenen verwechselten Krokodile mit Komodos, ein Mädchen ekelte sich vor den Schlangen, ein Tierpfleger beobachtete seine Schützlinge.

‚Pling‘, machte mein Handy. „Wir sind in Sicherheit“, las ich und nur die Kanonenkugelquallen sahen meine Freudentränen.

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Ein wilder Ort voller Geschichten!

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Am liebsten würde ich als Wolkenbeobachterin in einem Baumhaus leben. Bis zur Decke vollgestopft mit Büchern, versteht sich. Denn die verschlinge ich, seit ich denken kann. Ich bin eine Vielleserin, durch und durch. Irgendwann hab‘ ich selbst mit dem Schreiben angefangen. Weil ich mich erinnern möchte. Weil sich auf Papier gebracht vieles leichter sagen lässt. Weil ich kleinen und großen Dingen mit den richtigen Worten das nötige Gewicht verleihen will. Wie eine Geschichtenerzählerin. Meine Texte packe ich wie Geschenke in Formulierungen ein – und der Leser packt sie aus.

Miriam blitzt - Miriam Mehlman Fotografie