20. August 2019
Das Ötztal, eine Zeitreise
„Wumm“. Und wieder: „Wumm“. Und noch einmal: „Wumm“. Rhythmisch, fast wie Musik. Ein weiteres mächtiges „Wumm“ ertönt, wenn die zwei Lärchenbalken auf den Stein donnern. Christian, der Museumswart im Heimat- und Freilichtmuseum in Ötztal, hat mit Wasserkraft den Pluil (Flachsbrecher) zum Laufen gebracht. Er schiebt Flachsstängel zwischen Balken und Stein. Nach einigen weiteren „Wumm“ bricht der Flachs. Das bedeutet, die holzigen Teile lösen sich von der Faser.
Im nächsten Arbeitsschritt landet der Flachs in der Schwinghütte. Hier streifen die großen Holzmesser die holzigen Bastteilchen ab, der verkaufsfertige Flachs bleibt übrig.
Flachs – die Haupteinnahmequelle im Ötztal
Flachs – im Ötztal „Hoor“ also „Haar“ genannt – war bis ins 19. Jahrhundert eine der Haupteinnahmequellen im Tal. Die Qualität war so gut, dass er sogar an der Hamburger Börse gehandelt wurde. Im Museum, das aus insgesamt 10 Gebäuden besteht, erinnert man sich an diese Zeit und wer eine Zeitreise unternehmen möchte, dem lege ich das Museum ans Herz.
Gemeinsam mit dem Obmann Hans Haid wandere ich durch die Räume im Paarhof. Wir betrachten altertümliche Gebrauchsgegenstände aus längst vergangenen Zeiten. Er zeigt mir auch den Gedächtnisspeicher, der im Haus Lehn 23b untergebracht ist.
Der Gedächtnisspeicher im Ötztal
Im Gedächtnisspeicher sammeln die Bürger Erinnerungen und bewahrt sie so vor dem Vergessen. Zum Beispiel setzt man sich beim Ofnbonkpalaver (Ofenbankpalaver) zusammen und spricht über so alltägliche Dinge wie Brot.
Da hätte ich schon einige Fragen an die Ötztaler. Wann wurde gebacken? Wie oft? Einmal im Monat oder öfter? Wer entfachte das Feuer? Welches Holz wurde verwendet? Wie sahen die Brotbacköfen aus? Ab wann verschwanden sie? Die Antworten werden aufgezeichnet und im Archiv gesammelt. Hans Haid erklärt den Gedächtnisspeicher so: „Man kann nur in eine gute Zukunft gehen, wenn man eine Vergangenheit hat, von der man zu erzählen weiß.“
Ötztaler Heimat- und Freilichtmuseum
Lehn 24
3444 Längenfeld
http://www.oetztal-museum.at/
Das Schafwollzentrum im Ötztal
Ebenfalls viel zum Erzählen hat Johannes Regensburger, der Senior Chef des Ötztaler Schafwollzentrums in Umhausen. Die Geschichte des von seinem Vater gegründeten Betriebes hängt ebenfalls mit dem Flachs zusammen, noch im Jahr 1948/49 wurden hier 50 Tonnen Flachsfaser verarbeitet.
Im darauf folgenden Jahr sank jedoch der Flachsanbau in ganz Tirol auf Null Kilo!
Die Lösung um den Betrieb weiterzuführen zu können, fand man in einem anderen textilen Rohstoff der Region, und zwar der Schafwolle. So führt mich Johannes Regensburger durch seine Betriebsanlage und startet die eine oder andere Maschine für mich.
Im Schafwollzentrum wird die Schafwolle sortiert, gereinigt, gewaschen, gekämmt und gefärbt. Fast 90 Farbtöne stehen zur Verfügung und können als Flocke (lose Wolle), kardiert im Band oder als Vlies, als Dochtwollschnur und als Dochtgarn gekauft werden. Außerdem gibt es im Werkstattladen Produkte von Kunden, die Wolle waschen lassen oder Wolle verarbeiten.
Dass ich Johannes Regensburgers Erklärungen nur mit einem Ohr zuhöre, liegt daran, dass ich als strickverrücktes Wesen in Gedanken bereits mein Budget überschlage. Wer mich kennt, weiß dass ich an keinem Wollgeschäft der Welt vorbei gehen kann, ohne mindestens ein Knäuel zu kaufen. So ist es auch kein Wunder, dass ich im Anschluss der Führung das Schafwollzentrum mit zwei Sackerl Strickwolle und in glückseliger Stimmung verlasse.
Ötztaler Schafwollzentrum
Lehnpuit 2-4
6441 Umhausen
http://www.schafwolle.com/
Diese Reise ins Ötztal erfolgte auf Einladung vom Hotel Bergland Sölden. Die Kosten für die Anreise wurden vom Tourismusverband Ötztal übernommen. Vielen Dank!
Ein wilder Ort voller Geschichten!
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Am liebsten würde ich als Wolkenbeobachterin in einem Baumhaus leben. Bis zur Decke vollgestopft mit Büchern, versteht sich. Denn die verschlinge ich, seit ich denken kann. Ich bin eine Vielleserin, durch und durch. Irgendwann hab‘ ich selbst mit dem Schreiben angefangen. Weil ich mich erinnern möchte. Weil sich auf Papier gebracht vieles leichter sagen lässt. Weil ich kleinen und großen Dingen mit den richtigen Worten das nötige Gewicht verleihen will. Wie eine Geschichtenerzählerin. Meine Texte packe ich wie Geschenke in Formulierungen ein – und der Leser packt sie aus.